Der METH-Chip

Zeitreise-Bericht der Klasse 10d des Gottfried-Herder-Gymnasiums Merseburg vom 16. bis 17. Mai 2022

Deutschland im Jahr 2045

Die neue METH-Partei (Matteos Elegante Tugendhafte Horde) gewinnt die Wahlen mit einem großen Technikversprechen. Jeder Mitbürger kann sich einen Chip ins Gehirn einpflanzen lassen. Dieser lässt die Menschen Allgemeinwissen abrufen und erspart eine schulische Ausbildung. Diese technologische Neuerung verschafft den neuen Cyborgs Karrierevorteile, da das Einkommen oft davon abhängig ist, ob jemand einen Chip hat oder nicht. Zudem erlaubt es dieser, Krankheiten frühzeitig zu erkennen bzw. Informationen für medizinische Notfälle – etwa Angaben zur Blutgruppe – zu speichern.

Die Cyborgs wissen allerdings nicht, dass ihre Gedanken über den Chip nicht nur durch die METH-Partei mitverfolgt, sondern auch manipuliert werden können. Eine nicht unerhebliche Minderheit der Gesellschaft verweigert die Chip-Implantation. Nicht nur sind sie wirtschaftlich-gesellschaftlich im Nachteil, es kursiert unter ihnen auch das Gerücht, dass der Chip vor allem ein Mittel zur Unterdrückung von Protest in der Bevölkerung sei. Das würde alles erklären. Viele Chipträger lachen verächtlich über diese Verschwörungsschwurbler, zu denen bald schnell alle diejenigen gehören, die am Nutzen des Chips zweifeln.



Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: Vor dem Holo-Fernseher

 Handelnde Personen:  

  • Hanna – die Mutter  
  • Horst – der Vater  
  • Sophie – die Tochter  
  • TV-Sprecherin  

Die Mutter liest im Wohnzimmer auf einem Holo-E-Reader einen Roman, als das Gerät um 19.55 Uhr ein Erinnerungssignal von sich gibt.

Mutter (in den Flur rufend): Horst, Sophie, kommt ihr? Wir wollen die Nachrichten gucken.

Vater und Tochter kommen ins Wohnzimmer und lassen sich auf einer roten Couch aus einer weichen, kühlenden Gummimasse nieder.

Mutter: Horst, machst du mal an?

Vater: Ja.

Der Vater schaltet mit einem Sprachkommando ein an der Decke hängendes Gerät ein, das wie ein Beamer aussieht und ein 3D-Bild in den Raum projiziert.

TV-Sprecherin (als Hologramm): Herzlich willkommen zu den METH-News am 12. Mai 2042! Heute ist die neue Regierung zu dem Entschluss gekommen, den innovativen und inzwischen zur Serienreife gebrachten METH-Chip endlich zur Implantation zuzulassen. Wir klären dazu die wichtigsten Fragen.

Die Sprecherin agiert mit kleinen puppenähnlichen, jedoch computeranimierten Figuren einer Familie, um das Einsetzen des Chips zu demonstrieren.

TV-Sprecherin (während auf den Kopf der „Vaterpuppe“ gezoomt wird): Wie Sie sehen, wird der Chip schnell und schmerzlos in die linke Gehirnhälfte eingepflanzt. Das geht natürlich auch schon (es folgt eine Nahaufnahme der Kinderpuppe, in dessen Gehirn ein kleiner, golden schimmernder Punkt sichtbar ist) bei Säuglingen direkt nach der Geburt. Und genau dieser Einsatz bereits bei den Kleinsten garantiert einen enormen Vorsprung an Bildung und Gesundheit. Der Chip macht die 12 Jahre an Schulbildung überflüssig. Er erlaubt, ab dem 12. Lebensjahr in Teilzeit arbeiten zu gehen, und ab dem Alter von 18 den Einstieg in jeden beliebigen Beruf, ohne eine vorherige Ausbildung oder ein Studium. Außerdem speichert der Chip gesundheitliche Daten, zum Beispiel die Blutgruppe sowie Krankenkasseninformationen. Auch hat er eine Funktion zum Auslesen von Vitalparametern und möglichen Krankheitszeichen. Er wurde schon bei über 1 Million Menschen getestet und auch…

Plötzlich erlischt das TV-Hologramm.

Tochter (sauer): Mensch, Papi, warum machst du denn aus?

Vater (aufgebracht): Ich kann das nicht weiter anhören! Ihr müsst doch erkennen, das ist ein regelrechtes Verbrechen! Ich meine, erst mal verspricht die Implantation dieses Chips nur Vorteile. Wenn man aber weiter nachdenkt, dann fragt sich, was der Chip genau im Körper macht. Der hat doch bestimmt auch Nachteile!

Mutter (zärtlich): Ach, Horsti, der wurde doch ausgiebig getestet! Niemand hatte damit irgendwelche Probleme.

Tochter (euphorisch): Ja, Papi, ich finde, das ist eine geniale Erfindung. Ich bräuchte nicht mehr zur Schule gehen!

Mutter: Genau! Mit dem Chip-Wissen könnte Sophie schon bald arbeiten gehen und unser Familieneinkommen aufbessern.

Vater: Gut und schön! Aber die Partei nutzt den Chip, um ihre Ziele…

Tochter: Nö, ich will nicht mehr zur Schule!

Die Mutter streichelt der Tochter liebevoll über den linken Hinterkopf.

Mutter: Sophiechen, keine Sorge! Das brauchst du auch bald schon nicht mehr.

Vater (auch wenn die anderen offensichtlich schon nicht mehr richtig zuhören): Aber ich bleibe dabei, die Partei will uns mit dem Chip im Sinne ihrer Ideologie manipulieren. Warum erkennt ihr das nicht?

Tochter (bockig): Nein, mit der Schule bin ich fertig!

Mutter: Horst, du siehst wie immer alles viel zu negativ!

Vater: Ich bin ein mündiger Bürger und da muss man skeptisch gegenüber der Regierung sein.

Mutter: Ich versteh dich nicht! Es geht doch um unsere Tochter. Anscheinend willst du gar nicht ihr Bestes?

Vater (seufzend): Natürlich will ich nur das Beste für Sophie. Das ist es ja gerade! Ein ins Gehirn implantierter Chip dient bestimmt nicht der Gesundheit. Der kann alles Mögliche mit dem Organismus anstellen!

Mutter: Er wurde getestet, es gab keine negativen Auffälligkeiten.

Vater (mit lauter Stimme): Dann zeig mir die Studien, die das belegen! Ich glaub das nicht, ich will klare Fakten sehen.

Mutter: Die haben doch vorhin auf die Internetseite unserer Partei verwiesen, da kann man alles nachlesen.

Vater (etwas ruhiger): Nun gut, ich schaue mir das später in Ruhe an. Ich bleibe aber skeptisch. Das ist alles nur im Interesse der Partei. Die wollen…

Mutter (schlägt mit Faust auf den Couch-Tisch): Horst, jetzt hör aber auf! Ich finde das so unverantwortlich von dir! Willst du, dass ich mich von dir scheiden lasse?

Vater (ironisch): Ja scheinbar bist du gar nicht mehr mit mir, sondern mit deiner Partei verheiratet!

Mutter (zornig): So, mir reicht’s! Komm, Sophie, wir gehen!

Tochter: Nein, ich will bei Papa bleiben! Ich will nur nicht mehr zur Schule.

Mutter (unter Tränen): Na gut, dann geh ich eben alleine!

Die Mutter verlässt überhastet die Wohnung.

Vater: Nee, so ein Theater! (zur Tochter) Siehst du, das ist genau das, was die mit ihrem Chip erreichen wollen. Die spalten die Gesellschaft.


2. Akt: Im Geschäft

 Handelnde Personen:  

  • Verkäuferin  
  • Kundin  
  • Kunde  
  • Polizistin  

Unterdessen schreiben wir das Jahr 2045. Die Mehrheit der Bevölkerung hat sich den Chip implantieren lassen. Er ist im Alltag der meisten kaum noch wegzudenken, so auch an der Kasse eines Drogerie-Geschäfts, an der eine noch minderjährige Verkäuferin arbeitet.

Verkäuferin: Guten Tag!

Kundin (zahlreiche Artikel auf das Kassenband legend): Puh, hallo! Das alles gehört zu meinem Einkauf.

Verkäuferin: Kein Problem! Brauchen Sie ’ne Tüte?

Kundin: Ja, würde ich nehmen.

Verkäuferin: Die kostet aber ein bisschen mehr, ja?

Kundin: Ach, Peanuts! Aber haben Sie schon die neuesten Nachrichten gesehen?

Verkäuferin: Die von gestern Abend?

Kundin: Ja.

Verkäuferin: Also ich find das super.

Kundin: Ich auch. Also dass es kein Bargeld mehr gibt und wir alle nur noch über den Chip bezahlen können. Das erleichtert einem so viel. Man muss nicht mehr an so vieles denken, man hat alles gleich dabei.

Verkäuferin (flüsternd): Aber darf Ihnen im Vertrauen erzählen, was es hier manchmal für Leute gibt?

Kundin (ebenfalls flüsternd): Natürlich!

Verkäufern: Die kommen teilweise immer noch mit Pfandflaschen an.

Kundin: Krass!

Verkäuferin: Dann beschweren sie sich, dass ich die Ihnen nicht abnehme.

Der nächste Kunde in der Reihe scheint von dem Plausch etwas genervt und fängt an zu hüsteln.

Verkäuferin: Äh, gut! Einmal Zahlen mit Chip?

Kundin: Genau!

Die Verkäuferin hält ein Scangerät an den linken Hinterkopf der Kundin. Der Zahlvorgang wird durch ein Piepsen bestätigt.

Verkäuferin: Danke! Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag!

Kundin: Ebenso!

Die Kundin geht, um ihre vielen Waren einzupacken, während der nächste Kunde an der Reihe ist.

Kunde: Hallo!

Verkäuferin: Guten Tag!

Kunde: Hier, ich hab nur das Handtuch und das Deospray.

Verkäuferin: Gerne! Brauchen Sie eine Tüte?

Kunde: Ich muss sparen, aber das geht auch so. Dankeschön!

Verkäuferin: Sehr gut! (das Scangerät nach dem Kopf des Kunden ausstreckend) So, dann muss ich mal an Ihren Chip!

Kunde: Was meinen Sie?

Verkäuferin: Bitte zeigen Sie mir Ihren Chip zum Bezahlen?

Kunde (unsicher): Wie, meinen Chip?

Die Kundin, die noch am Einpacken ist, wird hellhörig.

Verkäuferin: Wir nehmen nur noch Chips zum Bezahlen. Haben Sie denn die Nachrichten gestern Abend nicht gesehen?

Kunde: Ich schaue keine Nachrichten.

Verkäuferin (hochnäsig): Aber Sie wollen jetzt nicht sagen, dass Sie noch keinen Chip haben?

Kunde: Ich habe keinen.

Verkäuferin: Wieso haben Sie noch keinen?

Kundin (sich einmischend): Ja den gibt’s doch schon seit drei Jahren!

Kunde: Nun, es ist die Entscheidung jedes Bürgers, ob man sich einen Chip implantieren lässt oder nicht.

Kundin (die Nase rümpfend): Können Sie überhaupt arbeiten gehen?

Kunde (nicht ohne Stolz): Ja, ich gehe jeden Tag ehrlich arbeiten. Ich versorge meine Familie.

Kundin (wie beim Verhör): Haben Sie denn eine Ausbildung? So ohne Chip?

Kunde (unbeirrt): Ja, ich hab eine klassische Ausbildung, so wie das früher eben ging. Ich brauche keinen Chip, um zu leben.

Kundin (sich ereifernd): Was, nur eine einfache Ausbildung ohne Chip?

Kunde: Ja, der ist nicht nötig!

Verkäuferin (ungläubig): Ja wirklich?

Kunde: Ich darf wohl freiwillig entscheiden, ob ich mir einen Chip einpflanzen lasse oder nicht!

Verkäuferin: Mag sein. Trotzdem können Sie nicht mehr ohne diesen bezahlen.

Kunde (etwas irritiert): Das verstehe ich nicht. Vor kurzem ging’s noch!

Kundin (selbstgefällig): Jetzt nicht mehr, das sind die neuen Regeln.

Kunde: Die Regeln sind willkürlich festgelegt, von der Regierungspartei.

Verkäuferin (erschrocken): Oh, sagen Sie etwas gegen unsere Partei?

Kunde: Diese Partei ist eine Bande von Verbrechern. Ich kann die nicht unterstützen. Ich will einfach mein Handtuch und mein Deo. Und das werd ich auch bezahlen. Hier ist Geld!

Er öffnet sein Portemonnaie und zieht einen Schein heraus.

Verkäuferin (wie mit einem Unbemittelten redend): Ich nehme kein B-a-r-g-e-l-d.

Kunde (stoisch): Ich hab nur Bargeld, keinen Chip.

Verkäuferin: Entweder lassen Sie sich einen Chip einpflanzen und kommen noch mal wieder oder Sie können hier nicht mehr einkaufen.

Kunde: Ist das ein Theater! Gut, dann nehme ich meine Sachen so mit.

Kundin (mit großen Augen): Huch, wollen Sie etwa stehlen?

Kunde: Wenn die kein Geld nehmen, was soll ich machen? Fühlen Sie sich mal in meine Lage rein! Nun, was soll ich machen?

Kundin: Na lassen Sie sich den Chip einpflanzen!

Verkäuferin: Den gibt es schon seit über drei Jahren! Warum tun Sie sich so schwer damit?

Kunde: Dieser Chip birgt Risiken, die kein Mensch abschätzen kann. Nicht mal diejenigen, die ihn einpflanzen.

Der Ton von allen Seiten wird lauter und schärfer.

Kundin: Hören Sie, allen geht es gut, ja alle leben viel besser mit dem Chip!

Kunde: Sie reden wie die von der Regierung!

Verkäuferin: Lassen Sie bitte auf der Stelle Ihre Waren hier!

Kunde: Nee, ich nehme das Zeug jetzt einfach mit, weil Sie mein Geld nicht wollen!

Verkäuferin: Dann ruf ich die Polizei!

Kunde (beginnt, seinen Rucksack zu öffnen): So ein Theater!

Kundin: Lassen Sie die Sachen hier!

Es dauert nur Sekunden, da fährt ein Polizeifahrzeug mit Sirene und Blaulicht vor. Eine Polizistin betritt das Geschäft.

Polizistin: Guten Tag! Was gibt es für ein Problem?

Verkäufern (auf den Kunden zeigend): Der hier möchte klauen.

Kunde (nun sichtlich aufgebracht): Ich möchte mit Geld ehrlich bezahlen.

Polizistin: Können Sie sich erst einmal ein bisschen in Ihrer Lautstärke mäßigen?

Verkäuferin: Er nimmt die Sachen einfach mit. Er akzeptiert nicht die Verordnung der Regierung, nur noch mit Chip…

Kunde (ins Wort fallend): Ich bin ein mündiger Bürger! Ich darf das für mich entscheiden. Es ist mein Körper…

Polizistin: Stopp, stopp! Was, Sie haben noch keinen Chip?

Kunde: Ja!

Kundin: Ja und er behauptet, er geht arbeiten.

Polizistin (verächtlich): Sie gehen also arbeiten?

Kunde: Ja, um mir diese Waren hier kaufen zu können!

Verkäuferin: Nee, nee! Kein Chip, keine Waren!

Kunde (langsam verzweifelt): Aber ich habe Geld. (der Polizistin den Geldschein und seine offene Geldbörse hinhaltend) Schauen Sie!

Verkäuferin: Nein, ich darf kein Bargeld annehmen! (zur Polizistin) Können Sie den bitte mitnehmen? Es reicht!

Kunde: Hören Sie mal!

Polizistin: Noch mal, mäßigen Sie sich bitte! Ich kann Sie gern auf die Wache mitnehmen.

Kundin: Wer weiß, was der sich schon alles eingesteckt hat. Sie sollten den auf der Wache gründlich untersuchen!

Kunde: Haben Sie sich etwa alle gegen mich verschworen und dienen nur dieser Verbrecherbande da oben?

Polizistin: Das ist genug! Sie geben mir allen Grund, Sie festzunehmen. Kommen Sie mit!

Der Polizistin legt den Kunden in Handschellen, die elektromagnetisch schließen, und führt ihn ab.

Kundin (zur Verkäuferin): Gut, dass man sich wenigstens auf unseren Staat verlassen kann!


Lektorat: sb