Zeitreise-Bericht der Klasse 10d des Gottfried-Herder-Gymnasiums Merseburg vom 16. bis 17. Mai 2022
Deutschland im Jahr 2045
Putin hat in der Ausweitung des Ukraine-Krieges Europa weitgehend eingenommen und vielerorts zerstört. Die NATO und die EU wurden zerschlagen. Auch Deutschland ist nun ein russisches Protektorat, in dem die Währung „Reubel“ eingeführt wurde. Die Eroberung wird von den Machthabern als Befreiung gefeiert.
Die deutsche Bevölkerung teilt sich mehr denn je in Ärmere und Reichere. Aufgestiegen sind diejenigen, die sich mit den Eroberern gemein gemacht haben, indem sie diese beispielsweise mit großzügigen Bestechungsgeldern unterstützen. Die Wohnviertel beider Schichten sind, gleich in welcher Gemeinde, durch Mauern voneinander getrennt.
Putin sichert seine Herrschaft durch die Stationierung einer neuen, Eurasischen Armee und durch den Aufbau eines Überwachungsstaates. An öffentlichen Orten patrouillieren Polizisten des sogenannten Staatsschutzes, während am Himmel kleinste Drohnen mit hochauflösenden Kameras und ultrasensitiven Mikrofonen kreisen, um besonders den sehr unzufriedenen, ärmeren Bürgern oft bis in ihr Privatleben hinein nachzustellen.
Der Unmut gerade der Unterschicht richtet sich, manchmal auch in Aufständen, vor allem gegen die neugegründete Partei „Putins neues Deutschland“ (PnD), die den deutschen Staat allein verwaltet. Die Partei drängt den Großteil der Bevölkerung in den Niedriglohnsektor oder gar die Arbeitslosigkeit, während sie mit den Reichen und Mächtigen paktiert. Unter diesen gibt es jedoch einige wenige, die in einer gewissen Solidarität mit den Ausgebeuteten Kritik am System üben.
Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…
1. Akt: In einem Park
Zwei Freunde unterhalten sich am frühen Abend nach getaner Arbeit auf einer Parkbank im Reichenviertel einer kleinen Provinzstadt über dies und das und streifen plötzlich das Thema Politik.
1. Freund: Also ich meine, die Partei „Putins…
2. Freund: Moment mal, ich mach besser laute Mucke an. Die haben ihre Ohren überall!
Der zweite Freund schaltet auf seiner Smart Watch eine Art Hip-Hop mit fiependen Beats und seltsam verzerrten Vocals ein.
1. Freund: Mach noch lauter!
2. Freund: Okus!
1. Freund: Okus! Also die Partei „Putins neues Deutschland“ (Die beiden haben bei der Geräuschkulisse einige Schwierigkeiten sich zu verstehen.), die muss weg!
2. Freund: Ja! Ich meine, wir gehören zu den Reicheren, aber was ist denn mit den armen Leuten? Die können ja gar nichts machen, die werden unterdrückt!
1. Freund: Stimmt, die haben ja kaum Arbeit!
2. Freund: Wenn unser einer nicht arbeiten gehen will, dann ist er ja selber schuld, wenn keine Kohle reinkommt.
1. Freund: Und dann diese Ausgangssperre! Jedes Mal kommen die abends an und stressen rum, dass man nicht rausgehen darf.
Von hinten nähern sich zwei Polizisten auf leisen Sohlen der Bank. Der eine tippt einem der Freunde auf die Schulter.
1. Polizist (aufgesetzt freundlich): Guten Abend, wir sind vom Staatsschutz. Wir wollen mal fragen, was Sie hier machen.
2. Freund: Äh, wir haben über unsere Vergangenheit geredet.
2. Polizist (mit ironischem Unterton): Das können Sie Ihren Großeltern erzählen!
1. Freund (verärgert): Entschuldigung, wie reden Sie überhaupt mit uns?
1. Polizist: Wenn Sie nicht mit uns mitkommen wollen, dann stehen Sie jetzt auf und verlassen diesen Ort!
2. Freund: Wieso?
2. Polizist (streng): Das wissen Sie ganz genau! Sie dürfen sich hier nicht am Abend aufhalten und schon gar versammeln, um miteinander zu sprechen. Nicht nur hier im Park herrscht ein abendliches Betretungsverbot.
1. Freund (mutig): Wo steht das?
1. Polizist: Weiß nicht, aber gleich stehen Sie auf! (dem ersten Freund einen Schlagstock in die Kniekehlen hauend) Na bitte, geht doch!
2. Freund (aufgebracht): Hey!
Der zweite Polizist greift den zweiten Freund am Arm und reißt ihn von der Bank.
2. Polizist: Macht, dass ihr fortkommt, bevor wir es uns noch einmal anders überlegen! Ihr denkt wohl, bloß weil ihr Kohle habt, könnt ihr euch alles erlauben!
Die beiden Freunde rennen aus dem Park.
2. Akt: Auf einer Parade
Putin hält auf dem Potsdamer Platz in Berlin eine Parade ab zum Jahrestag des sogenannten Großen Sieges über den Westen. Auf dem Platz hat ein Bataillon deutscher Soldaten, die in die Eurasische Armee eingegliedert wurden, Aufstellung genommen. Daneben haben sich nur einzelne, wohlhabend aussehende Bürger versammelt. Hinter der Rednertribüne beginnt in Richtung Westen das Reichenviertel mit zahlreichen, in den Tiergarten gebauten Villen. Im Vorfeld des Platzes in Richtung Osten ragen hinter einer Mauer die Sky Tower des Armenviertels in den Himmel. Einige wenige Bewohner schauen von dort hinter zugezogenen Gardinen der Parade zu.
Es ertönt die russische Nationalhymne und der greise Herrscher tritt, in Begleitung mehrerer Bodyguards, ans Rednerpult, um sich auf Deutsch (mit sächsischem Akzent) an die Anwesenden zu wenden.
Putin (feierlich, wenn auch mit heiserer Stimme): Dank unseres großartigen Sieges über die NATO und die EU, mithin über die inkompetente deutsche Regierung ist es nun gelungen, mit der PnD, der Partei „Putins neues Deutschland“, einen Garant für Frieden und Sicherheit zu gründen und mit der Regierungsarbeit zu betrauen.
Die Soldaten rufen „Hurra, hurra!“ und einige Bürger klatschen.
Putin (mit einer imperialen Handgeste zur Ruhe aufrufend): Es freut mich, dass Sie alle, Arm und Reich, so zahlreich erschienen sind. Ich danke Ihnen auch, dass Sie uns so großzügig mit Fördergeldern unter…
Plötzlich dringt ein Besucher der Parade mit „Waldi“-Rufen auf die Tribüne. Er wird jedoch sofort von einem der Bodyguards gestoppt.
Bodyguard (den Störer im Schwitzkasten-Griff): Freundchen, was störst du die Rede des Führers?
Besucher (unter Schmerzen): Ich wollte doch nur ein Autogramm!
Bodyguard (verächtlich): Kämm dir erst mal die Haare, wenn du zu wichtigen Leuten willst!
Besucher (fanatisch): Das mach ich, wenn es Putin befiehlt!
Bodyguard (aggressiv): Mir willst du also mir den Gehorsam verweigern? So eine Frechheit, Freundchen! (zu den anderen Bodyguards) Abführen!
Ganze vier Bodyguards fassen den Störer bei den Hand- und Fußgelenken und tragen ihn unter hilflosen „Waldi“-Rufen von der Tribüne zu einem Polizeieinsatzwagen. Und Putin, von dem Aufruhr doch ein wenig irritiert, kommt mit seiner Rede zu einem schnellen Ende.
Putin: Nun, ich danke Ihnen allen!
3. Akt: Auf einer privaten Gartenparty
Ein junger Unternehmer hat Freunde und Bekannte auf einer kleinen Party in seinem Garten eingeladen. Alle gehören der Oberschicht an, mit Ausnahme von zwei Gästen, die für den Unternehmer arbeiten und deshalb im Besitz von Passierscheinen für das Reichenviertel sind.
Gastgeber (mit erhobenem Sektglas): Ja, liebe Freunde, wir haben uns ja seit langem nicht mehr gesehen, bei all den Hürden in dieser Diktatur. Aber ich freue mich, dass wir uns heute hier treffen können. Prost!
Alles stoßen mit Sektgläsern an bzw. mit Bierflaschen, welche die Gäste aus dem Armenviertel mitgebracht haben.
Reicher Gast (zu einem der Armen): Mein Freund, darf ich auch ’n Schluck?
1. armer Gast (ihm seine Bierflasche reichend): Okus! Aber nicht, dass ich dich mit Corona oder so anstecke!
Reicher Gast (abwinkend und einen Schluck trinkend): Ach, was war denn Corona?
Gastgeber: Ja das ist ewig her, mit alle den Schließungen und Impfungen!
2. armer Gast: Ja das war doch ganz schlimm!
Reicher Gast: Die heutige Regierung würde bestimmt, käme so was noch mal, viel mehr durchgreifen.
Gastgeber: Aber besser ist es heute auch nicht!
1. armer Gast (seufzend): Ja es ist viel schlimmer, wegen der PnD!
Gastgeber und reicher Gast (einander auf die Schultern klopfend): Zum Glück gehören wir noch zu den Reicheren.
Die beiden Reicheren beginnen herzhaft zu lachen, während sich die Blicke der beiden Ärmeren mit einem Stirnrunzeln begegnen. Durch das Lachen dringt plötzlich ein Dröhnen.
Gastgeber (hellhörig und zum Himmel blickend): Moment mal, Freunde! Was ist das?
1. armer Gast (in Panik): Drohnen!
2. armer Gast: Wir müssen weg! Die suchen uns bestimmt.
Reicher Gast: Wie…?
Eine Drohne eröffnet das Feuer. Opfer der Streusalven werden nicht nur die beiden Ärmeren, die vom Kameraauge der Drohne als Vertreter der Unterschicht und Gefährder des Systems eingestuft wurden, sondern auch die beiden Reicheren, weil sie sich in unmittelbarer Nähe aufhielten.
Lektorat: sb