Die Spiegelmauer

Zeitreise-Bericht der Klasse 9e an den CJD Christophorusschulen Droyßig vom 4. bis 5. Oktober 2021

Deutschland im Jahr 2040

Eine Mauer in Gestalt eines Spiegels trennt die Welt der Reichen von der der Normalverdienenden. Die Bürger der einen Welt wissen nichts von der jeweils andern, da die Mauer nur die eigene Welt spiegelt.

„Der Chef“ herrscht autokratisch über die CBD als einzige noch existierende Partei sowie über die Welt der Reichen und der Normalverdienenden. Sein Regierungserfolg verdankt sich im Wesentlichen zweierlei Maßnahmen. Zunächst konnte er, nachdem noch vor wenigen Jahren ein Bürgerkrieg aufgrund der ungleichen Verteilung des Wohlstands wütete, die Wohlhabenden von den Geringverdienern durch die unsichtbare, spiegelnde Mauer abschotten. Zum anderen lässt ein Chip namens 3240, der allen Kindern gleich nach der Geburt und ohne das Wissen der Eltern in den Kopf eingepflanzt wird, die Bürger beider Seiten glauben, dass außer ihrer Welt keine andere existiert, selbst wenn sie an die Spiegelmauer stoßen.

Auf ihre je eigene Weise sind die Bewohner beider Welten zufrieden, da die Chips auch die Glücksgefühle ihrer Träger steigern, selbst bei Problemen des Alltags. Zudem ist der Wohlstand in der Welt der einstigen Geringverdiener sichtbar gestiegen. Diese haben nun ein ausreichendes Einkommen, auch wenn sie einer anstrengenden oder umfänglichen Arbeit nachgehen müssen. Sie genießen eine solide soziale Absicherung, obwohl ihnen das Geld für Luxus und der Zugang zur modernsten Technik fehlt. Auch sind alle Gebäude altmodisch und teils heruntergekommen.

In der Welt der Reichen sind dagegen alle Bauten modern und luxuriös. Auch wird dort kaum noch gearbeitet. Die Bürger besitzen den neuesten technischen Schnickschnack und überlassen viele Aufgaben Robotern. Ihre Haupt- und Lieblingsbeschäftigung ist das Shoppen und Tratschen mit Freunden. Sie hinterfragen nicht, woher ihr Wohlstand kommt, erinnern sich aber noch vage – wie die Bewohner der anderen Seite – an die wundersame Befriedung ihrer Welt nach dem einstigen Bürgerkrieg.

Der Chef sieht seine Hauptaufgabe darin, sich an seiner Macht und dem allgemeinen Glück zu laben und den Einsatz neuer, noch effektiverer Chips zu überwachen. Aus Angst, die Menschen könnten die Sache mit den Chips herausfinden, zählen nur Roboter zu seinen Dienern und Mitarbeitern.



Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…

1. Akt: In der Normalwelt

 Handelnde Personen:  

  • Erster Arbeitstätiger  
  • Zweiter Arbeitstätiger  

Ein Mann mittleren Alters führt an einem heißen Frühlingsmorgen, kurz bevor er zur Arbeit muss, seinen Hund im Wohngebiet spazieren. Als er an der heruntergekommenen Eckkneipe „Anno 2021“ vorbeikommt, sieht er an einem der Biertische unter der vertrockneten Linde seinen alten Schulkumpel sitzen.

1. Arbeitstätiger (erfreut): Bist du es, Colin?

2. Arbeitstätiger (etwas zurückhaltend): Ja! Was geht?

1. Arbeitstätiger: Na ich muss gleich auf Arbeit. Aber warum sitzt du schon wieder hier?

2. Arbeitstätiger (gelangweilt): Ich bin krankgeschrieben.

1. Arbeitstätiger: Warum das schon wieder?

2. Arbeitstätiger: Ich hab keine Lust mehr auf Arbeit, der Rücken macht nicht mehr mit.

1. Arbeitstätiger: Wie wär’s mal mit ’ner neuen Wirbelsäule?

2. Arbeitstätiger (müde): Das kann ich mir doch nicht leisten.

1. Arbeitstätiger: Aber du hast auch noch drei Kinder und das vierte ist auf dem Weg, hat mir deine Frau neulich erzählt. Also du solltest kürzertreten!

2. Arbeitstätiger: Ja, das Geld muss doch irgendwie reinkommen.

1. Arbeitstätiger: Wie wär’s mal mit ’ner anderen Arbeit?

2. Arbeitstätiger: Das ist schwierig im Moment.

1. Arbeitstätiger: Und was macht Chef?

2. Arbeitstätiger: Aufmucken. Willste ’ne Kippe?

1. Arbeitstätiger: Natürlich! Wieso fragst du überhaupt?

2. Arbeitstätiger: Und wie läuft’s bei dir so auf Arbeit?

1. Arbeitstätiger: Ja mein Chef nervt auch ’n bisschen. Aber so ganz gut! Nur hab ich wieder keine Gehaltserhöhung bekommen. Ja und meine Frau macht Stress. Ich soll mehr Geld verdienen. Und die Kinder wollen irgend so ’n Handy haben. – Was ’n für ’n Handy? Ich hab selber keins! Und der Hund strengt auch an. Dreimal am Tag mit dem Köter raus! – Aber hast du noch genug Geld?

2. Arbeitstätiger: Ja, und erst mal bekomme ich ja Krankengeld.

1. Arbeitstätiger: Alles klar! Jetzt muss ich aber zur Arbeit. Mach’s gut!

2. Arbeitstätiger: Du auch!


2. Akt: In der Reichenwelt

 Handelnde Personen:  

  • Erste reiche Tussi  
  • Zweite reiche Tussi  

Eine junge Tussi aus einem Reichenviertel macht eine Probefahrt mit ihrem neuen E-Cabriolet. Im Vorbeifahren sieht sie plötzlich eine Freundin vor einem Geschäft stehen. Sie bremst, stößt zurück und spricht die Freundin an.

1. reiche Tussi: Na was machst denn du hier?

2. reiche Tussi (mit vollen Einkaufstüten): Ich bin gerade am Shoppen.

1. reiche Tussi: Cool, da komm ich doch gleich mal mit!

2. reiche Tussi: Ok!

1. reiche Tussi (steigt aus und weist auf ihr Auto): Hast du schon meine neue Karre gesehen?

2. reiche Tussi (gelangweilt): Ja, mein Papi hat mir auch gerade ’ne neue gekauft.

1. reiche Tussi: Ach so! Lass mal ’n paar Bilder zusammen machen!

Sie zückt ihr nigelnagelneues Smartphone mit jetzt 9 statt 8 Kameralinsen und macht von sich und der Freundin ein Holo-Selfie. Plötzlich ertönt ein Nachrichtenton.

1. reiche Tussi: Oh, ich lese hier gerade, dass die letzten Jobs auch noch abgeschafft werden sollen.

2. reiche Tussi: Ja das hab ich auch schon gehört. Ist aber noch nicht fest.

1. reiche Tussi: Naja, ich find Arbeiten eh nicht so sinnvoll.

2. reiche Tussi: Genau! Ich hab dafür gar keine Zeit.

1. reiche Tussi: Ich hab in unserem Shop da hinten im Vorbeifahren eine neue Tasche im Schaufenster gesehen. Da würde ich gerne mal vorbeigucken. Willst du mitkommen?

2. reiche Tussi: Ja. Dort hab ich mir letztens den neuesten Gürtel aus Cultured Leather geholt.

1. reiche Tussi: Ja den wollte ich mir eigentlich auch holen, allerdings gab’s den nicht mehr. Da hab ich mir ’ne Lederhose aus diesem In-Vitro-Zeugs gegönnt.

2. reiche Tussi: Nun, vielleicht gib’s den Gürtel ja jetzt wieder!

1. reiche Tussi: Weiß ich nicht. Wir können ja mal gucken.

Die beiden schlendern die Einkaufsstraße entlang, in Richtung ihres Lieblingsgeschäfts.

1. reiche Tussi: Aber hast du eigentlich schon das Neueste von Tina und ihrem Lover gehört?

2. reiche Tussi (verdutzt): Äh, nee!

1. reiche Tussi: Na es hieß, dass die nicht mehr zusammen sind.

2. reiche Tussi: Ach, seit wann das denn?

1. reiche Tussi: Na seit gestern, weil er wohl fremdgegangen ist.

2. reiche Tussi: Hmm, wer nichts zu tun hat! Da kannst du ja wieder bei ihm landen.

1. reiche Tussi (abfällig): Ach, ich will nichts mehr von dem wissen. Der hat doch keine Kohle.

2. reiche Tussi: Ja wenigstens hat er was in der Birne, anders als mein Tim. Der erzählt immer nur Mist.

1. reiche Tussi (ironisch): Und hat dazu noch wenig Kohle!

2. reiche Tussi (gelangweilt): Ja.


3. Akt: In der Machtzentrale

 Handelnde Personen:  

  • Der Chef  
  • Roboterin  
  • Roboter  
  • Die reichen Tussen  
  • Die Arbeitstätigen  

In der Machtzentrale sitzt der Chef vor einem gigantischen Spiegel und krault sich selbstverliebt den Bart. Eine Roboterin frisiert ihm die Haare.

Der Chef (genüsslich): Ach es ist so schön, über die Welt zu herrschen, ohne dass überhaupt jemand weiß, wer über ihn herrscht. (plötzlich zur Roboterin) Dienerin, einen Kaffee bitte! (laut und grob, da diese nicht gleich reagiert) Dienerin, meinen Kaffee!

Roboterin (den Kaffee bringend): Tut mir leid, Boss!

Der Chef (den Kaffee probierend und sogleich wieder ausspuckend): Bäh, der schmeckt ja ekelhaft! – Nun, ich will mal schauen, wie es den Reichen so geht!

Er schaltet auf seinem Spiegel die Sicht in die Reichenwelt frei und sieht die zwei schon bekannten reichen Tussen, die sich nach ihrer anstrengenden Shopping-Tour in einem Café erholen.

1. reiche Tussi: Brigitte, weißt du noch damals, nach dem Krieg?

2. reiche Tussi: Ja, alles war in Schutt und Asche und keine Zukunft in Sicht.

1. reiche Tussi: Und dann wurden wir auf wundersame Weise gerettet!

Der Chef (wieder sein Spiegelbild einschaltend): Ja, der Chip hat alles gerettet, ich habe alles gerettet! (sich zärtlich zur Roboterin umwendend) Ach und ich bin so froh dich zu haben!

Roboterin (etwas blechern): Ich bin auch froh, Ihnen dienen zu dürfen.

Der Chef (sich stolz vor dem Spiegel aufbauend): Ich bin der Chef und herrsche über alles! – Nun gucke ich aber mal, was die Arbeiter auf der anderen Seite so machen!

Er gibt auf seinem Spiegel den Blick auf die Welt der Normalverdienenden frei und sieht die zwei bekannten jungen Männer. Beide, auch der zuvor krankgeschriebene, sind wieder bei ihrer Arbeit.

Der Chef (zufrieden seufzend): Die arbeiten, die machen ihr Ding, das passt alles!

Plötzlich wird ein Roboter zum Chef vorgelassen, der eine Lieferung überbringt.

Roboter (eilfertig): Boss, Boss, die neuen Chips sind da!

Der Chef (neugierig): Ok, ich gucke sie mir mal an!

Der Roboter legt ein paar Chips auf dem Tisch vor dem Spiegel aus. Der Chef prüft die Chips mit einem kurzen, geringschätzigen Blick.

Chef (sauer): Die gefallen mir noch nicht. Was ist mit der anderen, zweiten Charge?

Roboter: Die liegt noch drüben. Kommen Sie mit, ich zeig Sie Ihnen!

Der Roboter führt den Chef in die Fertigungshalle. Dieser begutachtet einen der Chips zwischen seinen Fingern wie eine Goldmünze akribisch von allen Seiten. Leuchtende Augen und ein breites Grinsen über beide Ohren verraten seine Zufriedenheit.


Lektorat: sb