Zeitreise-Bericht der Klassen A25 1/2 der Integrierten Gesamtschule Halle Am Steintor vom 12. und 13. Oktober 2022
Deutschland im Jahr 2045
Die Zeitreisenden finden das Tagebuch einer gewissen Margarete von Sangerhausen, Bürgermeisterin und Vorsitzende der Partei des Wohlstands (PDW) im Jahre 2045. Der Eintrag vom 2. Juni desselben Jahres lautet wie folgt:
„Meine PDW hat zum zweiten Mal die Wahlen in unserer Modellstadt Utopia gewonnen. Die Stadt erblüht unter meiner Regierung. Auch die bloß normal verdienenden Utopianer und Utopianerinnen glauben und vertrauen uns. In meiner ersten Amtszeit dachte ich noch, dass sie unsere neuen Gesetze ablehnen würden. Doch mit ihrem niedrigen Bildungsniveau scheinen sie uns blindlings zu vertrauen.
Nach wie vor darf niemand aus dem Sektor der Normalverdiener den Bezirk der Oberschicht betreten. Dafür sorgt seit Jahren die bereits von der Vorgängerregierung gebaute Mauer zwischen beiden Stadtteilen. Die weniger vermögenden Utopianer*innen erhalten ein gesondertes Medien- und Nachrichtenangebot. Ihre Schulbildung beschränkt sich höchstens auf einen 10.-Klasse-Abschluss. Außerdem genießen sie einen ausreichenden, teils aber schon wieder veralteten technischen Fortschritt. Im Luxusbezirk der Reichen sind dagegen in allen Lebensbereichen die modernsten Technologien zugänglich.
Ich denke, unsere neue Wahlkampagne hat beide Bevölkerungsschichten angesprochen und uns den erneuten Sieg beschert. „Reich, reicher, am reichsten!“ war die Losung für die Wähler aus der Oberschicht. „Mit uns zum Wohlstand!“ für die unwissenden, nur durchschnittlich verdienenden Utopianer*innen. Sie arbeiten und arbeiten, um unserer Elite den höchsten Lebensstandard zu ermöglichen. So profitieren wir in unserem Stadtteil nicht nur von High-Tech, sondern auch von einem erfolgreichen Naturschutz, zur Verbesserung des ansonsten sehr heißen Klimas.
Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…
1. Akt: In einem Krankenhaus
Ein Mann mittleren Alters rennt, offensichtlich mit Schmerzen, in die Notaufnahme eines Krankenhauses für Besserverdienende.
Patient (jammernd): Ah, meine Hand, meine Hand! Ich brauch Hilfe, schnell!
Empfangsroboter (mit nicht ganz flüssiger, leicht künstlicher Stimme): Guten Tag, Alfred Berbel! Bitte begeben Sie sich zur Behandlung in Raum 2!
Patient (sich mit zusammengekniffenem Gesicht in das Behandlungszimmer schleppend): Ok!
Assistenzroboter (ebenfalls mit sehr technischer Sprache): Guten Tag, Patient Berbel! Wollen Sie einen Entspannungssnack zu sich nehmen?
Patient: Äh, nein, danke!
Arztroboter (offensichtlich auch nur sein Programm ohne wirkliches Mitgefühl abspulend): Guten Tag! Ich würde Sie nun gern behandeln. Was sind Ihre Beschwerden?
Patient: Meine Hand! Ich hab ’nen Splitter.
Arztroboter: Alles klar, das muss sehr wehtun. Wollen Sie gleich eine Vollnarkose?
Patient: Bitte!
Das Roboterteam versetzt den Patienten mit einer kleinen e-Injektionsspritze in einen kurzen Tiefschlaf und entfernt mit einem Laserskalpell den Splitter.
2. Akt: In einem Altersheim
Oma Berbel, die Mutter von Alfred, lebt mit ihren 102 Jahren schon seit langem in einem Altersheim für Normalverdiener. Heute bekommt sie Besuch von ihrer Enkelin Lisa.
Lisa: Heho, Omi!
Oma: Hallöchen, Lisa! Lässt du dich auch mal wieder blicken?
Lisa: Tut mir leid!
Oma: Setz dich, ich hab einen Rührkuchen backen lassen! Den magst du doch so.
Die Oma nimmt den Kuchen aus einer Küchenmaschine, die wie eine Mikrowelle früherer Jahre aussieht, aber eine Art Replikator für die Essensherstellung zu sein scheint. Beide setzen sich aufs Sofa an einen kleinen Couchtisch.
Oma: Ach, Lieschen! Weißt du, damals, 2020, als das mit dem Virus anfing, da war alles einfacher. Da gab’s noch keine iLens und diesen ganzen technischen Schnickschnack, den ihr heut habt. Und auch die Mauer stand noch nicht. Und jetzt hab ich diesen ultrakomplizierten, kaputten Rollator. Der fährt nur noch rückwärts.
Lisa: Mensch, Omi! Hast du ihn auch richtig aufgeladen und neugestartet? Du weißt doch, nach dem Laden musst du erst diese (auf das Steuerpult des neben dem Sofa abgestellten Rollators zeigend) beiden Knöpfe da nacheinander drücken. Und dann funktioniert er.
Oma (seufzend): Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich!
Lisa: Ach, probier doch mal!
Oma (zum Rollator humpelnd): Hmm, was für Knöpfe soll ich nochmal drücken?
Lisa (auch zum Rollator tretend): Na erst den und dann diesen hier und danach musst du noch „Start“ sagen! Aber der reagiert nur auf deine Stimme. Probier mal!
Oma: Also erst den, dann den und jetzt „Start“!
Der Rollator fährt plötzlich vorwärts und kollidiert krachend mit der Schrankwand.
Oma: Ach, du meine Güte! Jetzt ist er bestimmt ganz dahin. Wenn ich mir doch so eine künstliche Wirbelsäule transplantieren lassen könnte! Aber das ist ein teurer Spaß. Komm, wir machen ’s uns wieder gemütlich und schauen Fernsehen!
Die Oma schaltet den Fernseher an, offensichtlich ein jahrealter Holo-TV der ersten Generation.
3. Akt: Die Tagesschau
Aus Oma Berbels Fernseher ertönt der klassische Tagesschau-Jingle:
Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Heute im Studio: Sophie Müller.
Die Nachrichtensprecherin erscheint als ein recht pixeliges, unscharfes Hologramm.
Nachrichtensprecherin: Guten Abend meine Damen und Herren! Gestern scheiterte die Marsmission. Der Mars-Rover „Final“ explodierte. – Immer mehr Leute lassen sich in den Kryo-Status versetzen, so auch der berühmte Schauspieler Lars Eisinger, der mit seinen fast 70 Jahren auf eine ewige Jugend und die Heilung all seiner Krankheiten in einer besseren Zukunft hofft.
Kurz eingeblendet wird das Hologramm Lars Eisingers, der selbstzufrieden grinsend in einer Kryokapsel schlummert.
Nachrichtensprecherin: Vielen Kryo-Anhängern ist aber das Klima einfach zu heiß und sie setzen auf eine neue Eiszeit irgendwann. – Und damit kommen wir zum Wetter! Aktuell sind es noch 42 Grad, aber in der Nacht kühlt es auf angenehme 35 Grad ab. – Noch einen schönen Abend!
Lektorat: sb