Die Antidot-Brille

Zeitreise-Bericht der Klasse 10B der Sekundarschule „Adolf Diesterweg“ (SKS) Stendal vom 29. bis 30. September 2022

Deutschland im Jahr 2045

Charles Webster hat alle und alles im Griff im „neuen Deutschland“, wie er es selbst taufte. An die Macht kam er ganz demokratisch. Er versprach in seinem Wahlkampf im Jahr 2028, die Schere zwischen Arm und Reich nun endgültig zu schließen. Aufgrund der extremen sozialen Ungleichheit im Lande reichte dies aus, um die absolute Mehrheit zu erlangen. Über eine „Reichensteuer“ beschlagnahmte er gegen eine „gerechte Entschädigung“ den Besitz der Reichen und investierte das Geld geschickt. Die Wirtschaft florierte und in der gesamten Gesellschaft machte sich satter Wohlstand breit.

Dem ehrgeizigen Webster reichte es aber nicht, die Mehrheit der Bevölkerung auf seiner Seite zu wissen, er strebte schon bald nach vollständiger Kontrolle. Mit der Erfindung des „Antidots“ konnte er sich seinen Wunsch nach absoluter Macht erfüllen, die er seitdem uneingeschränkt ausübt – ohne dass dies von Seiten der Bevölkerung auf sichtbare Gegenwehr stößt.

Bei dem als Heilsbringer angepriesenen „Antidot“ handelt es sich um eine VR-Mini-Brille, die mit Sensoren ausgestattet ist und so die Wünsche und Sehnsüchte der Nutzer erkennt. Auf Basis dieser Daten erschafft das „Antidot“ eine individuelle Traumwelt, die sie dann dem Nutzer als virtuelle Realität simuliert. Die angesagte „Droge“ entfaltete schon bald ihre Wirkung. Nun haben fast alle Bürger das „Antidot“, zumal es kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Websters IT-Experten gelang es außerdem, die Geräte für politische Zwecke zu manipulieren. In diese schöne, neue virtuelle Welt können seit kurzem politische Botschaften transportiert werden. Über diese versteckte Propaganda kann Webster Kritik im Keim ersticken und so die gesamte Bevölkerung ohne physische Gewalt kontrollieren.



Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: Auf Websters Promotion

 Handelnde Personen:  

  • Opi Volker  
  • Omi Ursel  
  • Webster  
  • Websters Assistent  

Opi Volker und Omi Ursel, die beide weit über 100 und trotzdem noch sehr rüstig sind, gehen in der Altstadt spazieren. Auf dem Rathausplatz treffen sie auf eine große Menschenansammlung vor einer Bühne.

Opi: Urselchen, wo sind wir denn hier gelandet.

Omi: Ich glaub, auf irgendeiner Promotion von (plötzlich mit leuchtenden Augen) unserem Webster.

Opi (etwas gelangweilt): Ach, von diesem Webster!

Omi: Ich bin sehr gespannt, was der uns diesmal zu präsentieren hat.

Webster (in Business-Kleidung die Bühne betretend und den Leuten zuwinkend): Guten Tag, meine Damen und Herren!

Die Menschenmenge beginnt zu jubeln und zu applaudieren.

Webster (feierlich): Heute ist der erste Tag der Zukunft. Heute präsentiere ich euch ein neues Produkt: die brandneue Antidot-Brille, die mir mein Assistent nun reichen wird.

Ein ebenfalls förmlich gekleideter Assistent tritt auf die Bühne und reicht Webster ein Tablett mit einer metallisch glänzenden Glocke. Ein Raunen geht durch die Menge. Webster lüftet das Geheimnis unter der Glocke und hält ein kleines Gerät, eine Art Mini-VR-Brille, in Richtung der Zuschauer.

Webster: Mit dieser Brille werden eure wildesten Fantasien Wirklichkeit!

Die Menge strahlt vor Begeisterung. Nur wenige, unter ihnen Opi Volker, blicken skeptisch.

Webster: Alles, was man sich vorstellt, wird wahr.

Opi (mit einer abwertenden Handgeste): Ach, so einen Quatsch brauchen wir doch nicht!

Omi (am Arm ihres Mannes zerrend): Doch, Volli, lass!

Webster (unbeirrt fortfahrend): Hologramm-Telefonate in bester Qualität, modernste Technik! Und das alles…

Omi (euphorisch): Das Ding müssen wir Tommi mitbringen!

Webster: … und das alles kostenlos! Weil…

Opi (miesmuffelig zu seiner Frau): Das brachen wir nicht.

Omi: Doch, der Junge wird sich freuen!

Webster: … weil wir ein gerechter Staat sind, der an seine Bürger denkt.

Omi (zusammen mit anderen laut in Richtung Bühne rufend): Ja, wir wollen diese Brille haben! Wie kriegen wir die?

Webster (mit einer erhabenen Geste für Ruhe sorgend): Für alle, die diese Brille unbedingt haben wollen, hat mein Assistent nun ein Exemplar zu verschenken.

Der Assistent kämpft sich mit einem Karton voller Brillen durch die Menge. Omi Ursel versucht ungeduldig, ihm entgegenzugehen.

Assistent (endlich bei Omi Ursel angelangt): Guten Tag, möchten Sie auch eine Brille haben?

Omi (aufgeregt): Ja, gerne! (die Brille entgegennehmend und von allen Seiten gebannt betrachtend) Oh cool! Herzlichen Dank!

Assistent: Viel Freude wünsche ich Ihnen mit dem guten Stück!

Omi (selig): Das ist sehr nett, junger Mann!

Opi (ungehalten): Ursel, das reicht! Nun, lass uns gleich zu Tommi gehen und das Ding loswerden!

Nur langsam löst sich die Menge auf. Viele haben ihre VR-Brille gleich aufgesetzt und bitten noch um ein Selfie mit Webster oder wenigstens mit seinem Assistenten.


2. Akt: Die Brille für den Enkel

 Handelnde Personen:  

  • Opi Volker  
  • Omi Ursel  
  • Tommi – der Enkel  

Omi Ursel und Opi Volker klingeln an der Wohnungstür ihres Enkels Tommi. Dieser öffnet mit etwas genervter Miene, da er gerade einen Fight mit seinem Lieblings-Hologame-Character ausfechten wollte.

Tommi: Hey, Omi und Opi! Was wollt ihr?

Opi: Grüß dich, Jungspund! Geht’s dir gut?

Omi: Jungchen, lass uns erst mal rein! Wir haben eine Überraschung für dich.

Tommi (seufzend): Na gut!

Omi (Tommi im Wohnungsflur die VR-Brille reichend): Schau mal, Tommi! Mit dieser Brille ­– hat der Webster uns erzählt – kannst du ganz viele Sachen sehen und machen. Setz die gleich mal auf und guck, ob sie funktioniert!

Tommi (mit der Brille vor den Augen): Wow, ich stehe mitten in einer Schlucht und auf mich zu rennt ein Heer von Orks! Hier, Opi, probier doch auch mal!

Der Opa setzt sich nicht ohne Widerwillen die Brille auf.

Opi: Ho, ich seh Vögel, ganz viele Vögel!

Opi Volker beginnt zu gehen, so als wollte er im Wald den Vögeln folgen, stößt jedoch wenig später gegen eine Zimmerwand.

Opi (sich die Brille abnehmend und die Augen reibend): Uff!

Omi: Siehst du, Volli, hat Webster zu viel versprochen?

Tommi nimmt die Brille wieder an sich, um weitere Funktionen zu checken.

Tommi: Oh, Opi, schaul mal! In der Brille ist eine Kamera installiert.

Opi (plötzlich aufgebracht): Ich hab’s doch gewusst! Dieser Webster will uns ausspionieren.

Omi: Volli, ruhig! Das stimmt doch nicht.

Tommi: Doch, Opi hat recht!

Omi (etwas hilflos): Nein, da täuscht ihr euch! Aber wir können ja zum Webster gehen und um eine Erklärung bitten.

Opi (entschlossen): Ja das machen wir. Jetzt gleich! Aber, Tommi, du bleibst besser hier! Dieser Webster ist sicher gefährlich.


3. Akt: In Websters Büro

 Handelnde Personen:  

  • Opi Volker  
  • Omi Ursel  
  • Webster  
  • Websters Assistent  

Die beiden Großeltern suchen Webster auf, der ein bescheidenes Büro im Rathaus unterhält und regelmäßig in einer Bürgersprechstunde Rede und Antwort steht. Als die beiden eintreten, ist Webster gerade im Gespräch mit seinem Assistenten.

Omi (versucht höflich): Guten Tag, Herr Webster!

Opi (wütend): Können Sie uns das hier (auf die Kamera in der VR-Brille zeigend) erklären? Was soll diese Kamera? Wollen Sie uns etwa observieren?

Webster (selbstsicher): Hmm, da muss ein Missverständnis vorliegen.

Opi: Nein, erklären Sie uns das!

Webster (scheinheilig): Oh, das ist ja wirklich eine Kamera?! (zu seinem Assistenten) Du Trottel, was soll das?

Assistent (ängstlich): Äh, das war wohl ein Fehler in der Produktion.

Webster: Ich beauftrage dich, eine Brille zu entwickeln, die das Gemeinwohl unterstützt, und du baust eine Kamera ein?!

Assistent: Dafür kann ich nichts!

Webster (ironisch): Ja, klar!

Omi: Herr Webster, stecken Sie wirklich nicht hinter dieser Sache?

Opi: Sie verlogener Tunichtgut!

Webster (schulterzuckend): Ich würde so etwas niemals machen. Ich sorge mich um das Volk.

Omi: Ob ich Ihnen das noch glauben kann?

Opi: Das is ’n Halunke!

Webster (kurz innehaltend): Nun gut, als Entschädigung lassen wir Ihnen eine neue Brille ohne Kamera zukommen.

Opi (immer noch aufgebracht): Nein, die können Sie behalten!

Omi (nickend): Ja besser verzichten wir ganz auf so eine Brille. Einen schönen Tag noch, Herr Webster!

Als die beiden gegangen sind, fixiert Webster mit einem äußerst bösen Blick seinen Assistenten.

Webster: Du hast mir versichert, keinem fällt auf, dass da in der Brille ’ne Kamera installiert ist!

Assistent (zögerlich): Äh, nun – ganz unsichtbar, das ist technisch sicher nicht möglich!

Webster (laut): Ich hab dich beauftragt, das Ding zu 100 Prozent in der Brille zu verstecken!

Assistent (plötzlich mit einigem Überdruss): Machen Sie das doch selbst, das nächste Mal!

Webster: Was meinst du, was die Leute jetzt glauben? Ja, die erzählen das jetzt rum. Und dann ist meine Popularität dahin.

Assistent: Da haben Sie wohl Pech.

Webster: Auch noch frech werden! – Ich regiere dieses Scheißland seit fast 20 Jahren. Und wegen deiner Inkompetenz könnte das nun gefährdet werden.

Assistent (spitz): Vielleicht ist es Zeit für was Neues!

Webster: Ja weißt du noch, was mit deinem Vorgänger passiert ist?

Assistent: Ein Autounfall?

Webster (fies lächelnd): Ja, das war die offizielle Version.

Webster zückt eine Laserpistole und streckt damit den Assistenten nieder.

Assistent (stöhnend): Weeeeb…

Der Assistent verstummt und bleibt reglos liegen.

Webster (seufzend und sich ein E-Zigarre anzündend): Hmm, jetzt muss ich mir schon wieder jemand Neues suchen…


Lektorat: sb