Die Mondscheindemokratie

Zeitreise-Bericht der Klasse 10a des Gottfried-Herder-Gymnasiums Merseburg vom 18. bis 19. Mai 2022

Deutschland im Jahr 2045

Die seit 2020 grassierende Corona-Pandemie ist immer noch nicht hinreichend besiegt, mit fatalen Folgen für Deutschland und die ganze Welt. Sie ist ein zentraler Grund, weshalb hierzulande das Vertrauen in die Politik fast gänzlich verloren gegangen ist und zugleich die Zahl an Wissenschaftsskeptikern und Verschwörungstheoretikern rapide zugenommen hat. Selbst Bürger, die sich lange an die staatlichen Regeln gehalten haben, sind zunehmend davon überzeugt, dass die Regierung die Bevölkerung manipuliert.

Ein weiteres kolossales, jedoch noch immer ungelöstes Problem ist die soziale Ungleichheit. Das Wohlstandgefälle wird immer größer, vor allem weil der Staat das Sozialsystem weiter zurückgebaut hat, während sich eine kleine Schicht mächtiger und wohlhabender Bürger nicht selten auch auf illegalen Wegen bereichert. Der Mehrheit an Geringverdienenden fehlt es, obwohl sie viel und hart arbeiten, an einer zureichenden Gesundheits- und Rentenfürsorge. Der Unmut der Benachteiligten führt immer öfter zu Protesten und Kriminalität, wobei der Staat kaum dagegen interveniert. Nichtsdestotrotz hält dieser den Anschein einer Demokratie, in der die Bürger mitbestimmen, gestalten und auch verändern können, aufrecht.

Der Klimawandel konnte ebenfalls nicht gestoppt werden, wenngleich die große Katastrophe ausgeblieben ist. So dienen die vielen Dachgärten auf den Häuserblöcken der Unterschicht weniger dem Klimaschutz als der Selbstversorgung mit unerschwinglichen Lebensmitteln. Ein Beitrag zu einer besseren Klimabilanz sind sicher die Elektroautos, die eine größere Reichweite als Benzinfahrzeuge des Jahres 2022 haben. Doch diese können sich ohnehin nur die Wenigsten leisten. Im Trend unter den sehr Reichen sind hingegen Urlaubsreisen mit Flugautos sogar bis zum Mond.



Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: In einem Penthouse

 Handelnde Personen:  

  • Tochter  
  • Vater  
  • Mutter  

Im Wohnzimmer eines luxuriösen Penthouses schaut der Vater gerade eine Holo-Übertragung des Finalspiels in Wimbledon, als seine 16-jährige Tochter von einem fliegenden Schulbus auf dem Dach des Hauses abgesetzt wird.

Tochter (eintretend): Hallo Papa!

Vater: Hallöchen!

Tochter (den Vater umgarnend): Pappchen, du weißt doch, ich flieg nachher für ’ne ganze Woche zum Festival.

Vater: Ja.

Tochter: Kann ich dafür ein Auto haben? Ich muss doch ein paar Freunde mitnehmen, die kein Auto besitzen, das fliegen kann, weil die alle nicht so viel Geld haben.

Vater: Ja klar, such dir einfach eins aus!

Tochter: Danke schön. Und Pappel, kann ich vielleicht auch noch ein bisschen Geld bekommen?

Vater: Kein Ding! Wie viel brauchst du denn? 4.000 oder 5000?

Tochter: Ich glaube, so 4000 sollten reichen. Doch wir können ja Mama nochmal fragen. (etwas nervös auf ihre Holowatch schauend) Aber die sollte sich mal beeilen. Das Festival ist ja auf dem Mond und die Fahrt dorthin voll weit.

Just landet die Mutter mit einem Flugauto der Kompaktklasse auf dem Dach.

Vater: Horch, Mama kommt wie bestellt!

Mutter: Hallo, meine Süßen! Na, worüber habt ihr gerade gesprochen?

Vater: Ich hab eben überlegt, wie viel Geld ich Sophiechen mitgebe, auf dieses Moon Festival.

Mutter: Sophie, wie viel möchtest du denn haben?

Tochter: Wir haben überlegt, so 4.000.

Mutter (die Stirn runzelnd): Was, das soll reichen? Außerdem habe ich doch gerade erst mein Gehalt gekriegt. Und wieder viel zu viel. Die Regierung checkt offensichtlich schon gar nichts mehr. Aber mir soll’s recht sein. (der Tochter durchs Haar fahrend) Sind 20.000 für die ersten drei Tage okay?

Tochter: Ja, ich denke, das sollte reichen.

Mutter: Gut. Und wir geben dir eine Kreditkarte mit. Denk aber an das Tageslimit von 10.000 €! – Aber wo geht’s denn überhaupt hin?

Tochter: Na auf ’n Mond, auf das Festival. Das hab ich euch doch schon vor Tagen erzählt, oder?

Mutter: Stimmt! Na dann viel Spaß!

Tochter: Danke schön.

Vater (die Mutter umarmend): Du, mein Sonnemond, was machen wir denn eigentlich am Wochenende?

Mutter: Ich hab überlegt ­– Malediven, Bahamas. Aber irgendwie konnt ich mich noch nicht recht entscheiden.

Vater: Und warum fliegen wir nicht einfach mit auf den Mond?

Mutter: Das ist eine super Idee!

Tochter: Ja, ihr könnt nachkommen. Falls mir das Geld ausgeht, hab ich dann ja euch.

Vater: Aber behandle das Auto gut und flieg nicht ohne Autopiloten!

Tochter: Das mache ich! So, jetzt muss ich aber los. Wir sehen uns am Freitagabend!

Die Tochter eilt zur Dachgarage.

Mutter: Harald, entspann dich! Wenn das Auto kaputt geht, kaufen wir ein neues. Die Autosalons auf dem Mond sind viel exklusiver als hier. Und außerdem braucht Sophie eh endlich mal ein eigenes.


2. Akt: In Oma Rosis Wohnung

 Handelnde Personen:  

  • Oma Rosi  
  • Tyson ­­­– der Enkel  

In einer kleinen Wohnung im Plattenbau eines Armenviertels bekommt Oma Rosi Besuch von ihrem Enkel. Da sie bereits dement ist, erkennt sie ihn nicht sofort.

Oma: Wer bist du denn?

Tyson: Omi, ich bin dein Enkel.

Oma: Ah, wie heißt du nochmal?

Tyson: Tyson.

Oma: Ach, mein Tyson! Du warst so lange schon nicht mehr hier.

Tyson: Na ich war gestern da und hab mit dir oben im Dachgarten die Tomatenpflanzen gejätet.

Oma: Hä, das habe ich doch alleine gemacht.

Tyson: Nee, ich hab dir geholfen.

Oma: Echt? (den Gips des Enkels registrierend) Und wann hast du dir überhaupt den Arm gebrochen?

Tyson: Na gestern.

Oma: Aber Junge, wer hat denn den Gips bezahlt? Die Krankenkasse deckt das ja längst nicht mehr ab.

Tyson: Ich habe deine Notreserven unterm Kopfkissen gefunden.

Oma (ungläubig): Ich hatte noch Geld?

Tyson: Ja, aber das hat nicht gereicht. Jetzt habe ich Spendenaufrufe im Viertel der Reichen ausgehängt. Aber von denen denkt eh fast jeder nur an sich.

Oma: Ach, Tyson, das Geld hatte ich für eine Renovierung zurückgelegt. Siehst du nicht, wie’s hier aussieht? Die ganze Wohnung müsste eigentlich mal neu gemacht werden.

Tyson: Ja.

Oma: Und wenigstens neue Tomatenpflanzen bräuchte ich. Weil im Supermarkt…

Tyson (neugierig): Was ist denn ein Supermarkt?

Oma: Na so was gab’s früher. Da konnte man einfach reingehen, um zum Beispiel Tomaten aus China für 1,50 € das Kilo zu kaufen. Und vieles andere war da noch bezahlbar.

Tyson: Jetzt im Online-Handel bezahlt man ja schon fast 4 € für eine kleine Tomate.

Oma: Ja, und deswegen wären ein paar neue Gemüsepflanzen wirklich wichtig. Wie sollen wir sonst über die Runden kommen?

Tyson (verträumt): Und in diesem Supermarkt, was gab’s da noch? So was wie, äh Fleisch?

Oma (schwärmerisch): Ja, da gab es Unmengen an Fleisch. Und so günstig!

Tyson: Schlachtvieh können wir in unserem schönen Dachgarten ja nicht halten, oder? Das bräuchte mehr Auslauf und könnte runterfallen.

Oma: Ja, aber wie lange hast du eigentlich schon den Gips?

Tyson: Ach, Omchen, das hab ich dir doch vorhin erst erzählt. Ich glaub, du musst dich jetzt hinlegen.

Oma: Ja, ich arbeite viel zu viel, weil du hier nie mithilfst.

Tyson (tief Luft holend): Ja.

Der Enkel hilft seiner Oma ins Bett und geht dann hinauf, um den Dachgarten zu wässern.


3. Akt: Vor dem Reichstag

 Handelnde Personen:  

  • Zwei Politiker  
  • Passant  

Zwei Politiker der Regierungspartei treffen sich vor dem Reichstag.

1. Politiker: Grüß Gott! Was gibt’s Neues?

2. Politiker: Haste gesehen, da ist schon wieder ’n neues Graffiti am Reichstag! Das geht doch nicht! Die Kriminalität steigt enorm in den letzten 20 Jahren.

1. Politiker: Ja die Jugend ist noch verkommener heutzutage!

2. Politiker: Und wer soll hier die ganze Chose bezahlen?

1. Politiker: Das frag ich mich allerdings auch.

2. Politiker: Die Reichen bezahlen immer noch viel zu viel Steuern.

1. Politiker: Ja, aber ohne dass bei den Armen wirklich was ankommt!

2. Politiker: Die haben sich eh nur auf ihrem Sozialgeld ausgeruht. Deswegen haben wir doch vor Jahren HARTZ 4 abgeschafft.

1. Politiker: Aber nun arbeiten die den ganzen Tag, ohne das was bei rumkommt.

2. Politiker: Na anscheinend arbeiten die eben nicht hart genug.

1. Politiker (mit einem Augenzwinkern): Und worin besteht deine Arbeit?

2. Politiker (mit gewichtiger Mine): Ich arbeite im Ministerium für unser Sozial- und Gesundheitssystem.

1. Politiker (schmunzelnd): Welches Sozialsystem denn?

2. Politiker: Äh, das muss freilich geplant werden.

1. Politiker: Als ob du einen Plan hättest! Also kriegst du Geld für nischt!

2. Politiker (in dem Versuch, vom Thema abzulenken): Und Mensch, Corona! Das ist nach wie vor spannend. Ich glaub, wir haben bald die 40. Welle. Und, du hast es wieder gekriegt, obwohl du schon 26mal geimpft bist?

1. Politiker: Na wenigstens muss ich nicht bei jeder Ansteckung ins Krankenhaus, wie du immer!

2. Politiker: Dafür bist du gechipt!

1. Politiker: Wie kommste jetzt darauf?

2. Politiker (nach Argumenten ringend): Na, hier, Bill Gates! Weißte doch!

1. Politiker: Was haste jetzt schon wieder mit Bill Gates?

2. Politiker: Na der ist doch noch nicht tot. Das weiß man doch! Das hat der alles nur vorgetäuscht.

1. Politiker (nüchtern): Der ist seit 10 Jahren tot.

2. Politiker: Ach, da war gar keine Leiche im Sarg.

1. Politiker: Quatsch, ich war auf seiner Beerdigung.

2. Politiker: Na ja, da lag nur ein Android oder so drinne. Weißte doch!

1. Politiker (Kopf schüttelnd): Nee, weiß ich nicht.

2. Politiker: Wieso nicht? Musste nur mal recherchieren! Aber wir klären das wann anders, ich hab noch zu tun.

1. Politiker: Und wir müssten bald mal unser neues Parteiprogramm für die anstehenden Wahlen ausarbeiten!

2. Politiker (geringschätzig): Ach du glaubst noch an Wahlen?

Passant (der die letzten Gesprächsfetzen aufgeschnappt hat): Was für ’n Scheiß? Wahlen? Wir leben doch in einer Scheindemokratie.

1. Politiker: Nee, sonst könnten Sie hier gar nicht so was rumschreien!

Passant (zunehmend aggressiv): Und der ganze Staat ist korrupt und marode! Und wer seid ihr? Doch nicht etwa Politiker?

1. Politiker (unsicher): Äh, doch!

2. Politiker (bestimmt): Aber die Gefängnisse funktionieren noch ganz gut, junger Mann! Also passen Sie auf, was Sie sagen! Schönen Tag noch!

Die beiden Politiker gehen flugs ihrer Wege, um sich nicht weiter in das Gespräch mit dem Passanten ziehen zu lassen. Dieser bleibt wie erstarrt zurück.


Lektorat: sb