Eine Große Partei (EGP)

Mittlerweile gibt es nur noch eine Partei, und doch leben wir in einer gut funktionierenden Demokratie. Nachdem es viele drängende Probleme gab, die zu wichtig waren, um sie dem ewigen politischen Streit weiter zu opfern, hatten sich die vielen zersplitterten Parteien auf einem Konvent im Jahr 2025 getroffen. Am Ende war man sich einig, dass man die alten Gräben überwinden müsse, und so ist aus jenem Konvent eine neue Partei entstanden – die „Eine Große Partei“ (EGP). Diese hatte bereits zum Zeitpunkt ihrer Gründung eine überwältigende Mehrheit im Parlament und konnte zügig zahlreiche Erfolge vorweisen. Sie ist auch nach 15 Jahren weitgehend unangefochten an der Macht – dank digitalen Lehrern, einem ausgebauten Hyperloopnetz, billigen Lebensmitteln durch vertical farming und vielem anderen mehr.

Allerdings wurde das Hartz-IV-System abgeschafft und nur bei nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit toleriert, dass Menschen nicht einer Arbeit nachgehen. Dank Mindestlohn „lohnt“ sich Arbeit nun allerdings auch wirklich für jeden – und ohne Arbeit wäre man eh zu sehr von der Gesellschaft isoliert. Dieses Modell wird allmählich auch von anderen Staaten nachgeahmt, so dass man in Deutschland durchaus stolz ist auf das eigene System und damit auch auf die EGP, die das in nur wenigen Jahren vollbracht hat.



Eine Szene, die sich im Jahre 2040 zugetragen hat…

1. Akt: Im Altenheim „Abendrot“

 Handelnde Personen:

  • Mike Theiß – Nachrichtensprecher  
  • Claudia Schäfer – Reporterin  
  • Frau Ludwig – Zeitzeugin  
  • Frau Gleichmann – Zeitzeugin  
  • Frau Busse – Zeitzeugin  

Große Aufregung im Altenheim „Abendrot“. Eine Reporterin will für die Tagesschau berichten. Ein paar rüstige ältere Damen stellen sich der Herausforderung und erklären sich für ein Gespräch bereit.

Mike Theiß: Guten Tag, meine Damen und Herren! Willkommen zur Tagesschau. Mein Name ist Mike Theiß. Heute ist das 15-jährige Jubiläum der „Einen Großen Partei“, der EGP. Wir schalten jetzt live in das Altenheim „Abendrot“, wo Augenzeuginnen von ihrer Vergangenheit berichten.

Claudia Schäfer: Hallo! Hier spricht Claudia Schäfer. Wir berichten von einem Altenheim im Herzen von Quedlinburg. (wendet sich einer älteren Dame zu) Frau Ludwig, mit 95 Jahren können Sie sich sicherlich noch gut an die Zeit vor der EGP erinnern. Wie war das damals?

Frau Ludwig: Früher, ja wissen Sie, da war ja alles ganz anders. Da gab es noch Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit. Heute muss man den jungen Menschen erst erklären, was das überhaupt bedeutet. Es gab Gewalt und Terrorismus. Nun, diese Zeiten sind (sie hebt ihren Zeigefinger) – vorerst, ich bin da immer vorsichtig – vorbei!

Claudia Schäfer: Und was sagen Sie, Frau Gleichmann? Sie können sich doch sicher auch noch gut erinnern?

Eine Große Partei (EGP)

Frau Gleichmann: Na selbstverständlich! Es gab sehr arme und sehr reiche Menschen und überhaupt zu viele Parteien! Völliger Unfug. Man nannte sie damals „normale“ Parteien, wie die CDU, CSU oder die AfD. Aber im Jahr 2025 haben sich die meisten Parteien dann zusammengeschlossen zu einer einzigen Partei, der EGP. Sie haben sich auf einem Allparteienkongress eigentlich nur über die drängendsten Probleme austauschen wollen, wie Klimawandel, die neuen Cyber-Angriffe und den weltweiten Protektionismus. Man wollte Einigkeit dort finden, wo das Klein-Klein der Parteipolitik nur stört – und danach mit anderen Fragen weitermachen. Naja, und dann entstand die Idee der EGP. Dass man darauf nicht früher gekommen ist (schüttelt den Kopf).

Claudia Schäfer: Und hier haben wir noch Frau Busse, mit stolzen 103 Jahren die Älteste unter Ihnen (die anderen beiden schauen etwas besorgt). Was ist Ihre Meinung dazu?

Frau Busse: Ich will die Mauer zurück! Sofort! (wird von den Pflegern mit einem mitleidigen Lächeln weggeführt)

Claudia Schäfer (die Kamera schwenkt schnell zurück zu ihr, sie scheint auf einmal stark zu schwitzen): Das war es mit unserem Zeitzeugenreport, dieses Mal aus dem Altersheim „Abendrot“. Wir schalten zurück ins Studio.

Die Tagesschau läuft weiter.


2. Akt: In der Schule

 Handelnde Personen:

  • Frau Klare – Lehrerin  
  • Elke Schmidt – Politikerin der EGP  
  • Johanna Schlootz – Politikerin der EGP  
  • Michael – Schüler  
  • Finja – Schülerin  
  • Maria – Schülerin  

Auch in der Schule nebenan herrscht Ausnahmezustand. Nicht, dass es das erste Mal war, doch hoher Besuch von der EGP stellt für den Direktor und die Kollegschaft immer eine Bewährungsprobe dar. Frau Klare ist daher bestrebt, alles reibungslos ablaufen zu lassen.

Frau Klare: Liebe Schüler, heute erhalten wir einen besonderen Besuch von zwei Politikerinnen von der EGP. Ihr dürft ihnen gerne ein paar Fragen stellen.

Es klopft und der Direktor kommt mit zwei Politikerinnen der EGP herein. Die Schüler stehen auf und applaudieren brav.

Elke Schmidt: Nicht doch, nicht doch. (lächelt ihrer Kollegin verschmitzt zu) Wir haben doch gar nichts getan. (wendet sich den Schülern zu) Habt ihr Fragen?

Michael: Was ist das Beste, was Sie bisher getan haben?

… vertical farming und …
Moderne Stadt mit …

Johanna Schlootz: Zum Beispiel haben wir die Wohnungsnot durch zahlreiche Neubauten und die Lebensmittelknappheit dank vertical farming bekämpft. Und die Mobilität haben wir durch eine Netzerweiterung der Hyperloops und eine Förderung von fliegenden Autos verbessert.

… digitalem Lernen

Elke Schmidt: Ach ja, liebe Schüler, durch den systematischen Ausbau von digitalen Lernmodulen haben wir Euch – und den Lehrern (zwinkert Frau Klare zu) – den Unterricht etwas erleichert. (sieht die vielen anerkennenden Blicke der Schüler und winkt ab) Meine Lieben, das ist doch wohl selbstverständlich. Das war doch nur unsere Pflicht. Dafür werden wir schließlich von Euren Eltern mit Steuergeldern bezahlt.

Finja: Ich hatte mal von meinem Vater gehört, dass es noch ein Klimaproblem gibt. Habt ihr das mittlerweile gelöst?

Johanna Schlootz: Wir haben den Co2-Ausstoß so weit reduziert, dass wir jetzt eine ausgeglichene Bilanz haben. (blickt nun ernst) Nur die Schäden unserer Vorgängerregierung konnten wir noch nicht rückgängig machen. Wir arbeiten daran, damit die Temperaturen wieder „normal“ werden.

Maria: Wie lange dauert es eigentlich, bis man mit dem Hyperloop in Südafrika ist?

Elke Schmidt: Zufälligerweise kommen wir gerade aus Südafrika. (schaut auf die Uhr) Und wir haben nur knapp vier Stunden gebraucht. (die Schüler raunen und sie lächelt zufrieden) So, wir müssen jetzt leider weiter nach Tokio. Lernt fleißig, denn für clevere Technologien brauchen wir eure hellen Köpfe (zwinkert den Schülern zu). Tschüss!

Die Schüler applaudieren und der Direktor begleitet den Besuch zufrieden und erleichtert zur Tür.


3. Akt: Zu Hause beim Abendbrot

 Handelnde Personen:  

  • Maria – Tochter  
  • Robert – Vater  

Maria war sichtlich beeindruckt vom Besuch der Politiker und ist völlig gedankenversunken nach Hause gegangen, wo ihr Vater bereits das Abendbrot vorbereitet hat. Heute gibt es etwas zu erzählen…

Maria: Also, heute hatten wir im Geschichtsunterricht Besuch von zwei Politikerinnen von der EGP. Die haben erzählt, dass es früher Arbeitslose gab. Aber was heißt eigentlich genau „arbeitslos“?

Robert: Damals hatte man Geld vom Staat geschenkt bekommen, wenn man nicht arbeiten gegangen ist.

Maria: Das hört sich doch total cool an. Warum wurde das denn bitte schön abgeschafft?

Robert: Naja, einige Leute haben versucht, dieses System auszunutzen. Das waren meist faule Leute. Und dann hat der Staat diesen faulen Leuten die finanzielle Unterstützung gestrichen. Gleichzeitig haben sie den Mindestlohn erhöht und damit letztlich das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst. Die eigentlich Arbeitsfähigen wurden dadurch zur Arbeit motiviert.

Maria: Aber das heißt, dass Du auch mal früher faul warst, oder?

Robert (errötet, wirkt nervös und genervt): Maria, also hör mal! Ach komm, das ist mir jetzt zu anstrengend, was hast Du denn noch in der Schule gelernt?

Maria: Ach so, verstehe, Papi! (grinst, sieht aber die bösen Blicke ihres Vaters und schaut weg) Du, ich muss los, um mit Finja für die Klassenarbeit lernen.

Sie verlässt den Tisch und Robert wirft ihr ein paar verärgerte Blicke hinterher. Er schüttelt den Kopf und geht nachsichtig-grinsend ins Wohnzimmer, um endlich sein Fußballspiel zu sehen.